Die kreative Kraft der dritten Dimension

Die kreative Kraft der dritten Dimension

Kreativtechniken können helfen, Gruppenarbeit anzuregen und innovatives Denken zu fördern. Die Methode „LEGO® Serious Play®“ (kurz: LSP) arbeitet hierfür mit dreidimensionalen Modellen aus LEGO-Steinen. Sam (Yiheng Cen), der Innovationsberater bei TOM SPIKE, hat ein Gespräch mit Christoph Beck, Chefredakteur des Unternehmensmagazins „methodik“ der HelfRecht AG, geführt. Die ursprüngliche Länge des Interviews wurde zwecks Blogbeitrags abgekürzt.

Seit Jahrzehnten bauen sich Kinder ihre Welt mit LEGO-Steinen. Kreativ interpretierend kombinieren sie die bunten Bauklötze zu unterschiedlichsten Szenarien: Der rote Stein wird zum Bus, der grüne zum Wald, die blaue Platte zum Meer, die Gruppe aus drei kleinen und zwei größeren Klötzchen zur eigenen Familie. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Auch in manches Unternehmen hat LEGO Eingang gefunden. Projektteams und Workshop-Teilnehmer nutzen die Bausteine, um unternehmerische Herausforderungen mal ganz anders anzugehen: Über dreidimensionale Modelle wird das jeweilige Thema anschaulich und bildhaft in Szene gesetzt. LEGO® Serious Play®, kurz LSP, heißt diese Technik. Sie hilft, Probleme und Aufgabenstellungen aus einer anderen Perspektive zu betrachten, ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen und auf diese Weise neue Wege und Lösungen zu entdecken.

Yiheng Cen ist zertifizierter Facilitator für die LEGO® Serious Play® Methode und Materialien. Im Gespräch mit „methodik“ erläutert der Innovationsberater, wie diese Methode funktioniert und was sie bringt.

Herr Cen, LEGO gilt gemeinhin als Kinderspielzeug. Im Business-Bereich erwartet man eher professionelle digitale Tools, um beispielsweise Innovationsprozesse zu unterstützen. Warum macht es Sinn, in einem Workshop mit den bunten Bausteinen zu arbeiten?

Auch wenn es auf den ersten Blick nach LEGO-Spielen ausschaut: LEGO® Serious Play® ist ein professionelles und seit Jahren im Innovationsmanagement bewährtes Tool. Das „Serious“ macht den Unterschied. Also die „ernsthafte“ Nutzung der Bausteine nach einer speziellen methodischen Vorgehensweise. Die Gruppenarbeit wird damit um eine dritte Dimension erweitert. Das öffnet ein zusätzliches Kreativfenster, fördert die Interaktion im Team und bringt somit bessere Ergebnisse als beim klassischen Prozess.

Was fehlt Ihnen denn bei der klassischen Gruppen- oder Workshop-Arbeit?

Das Team ist zu häufig nicht wirklich beteiligt. Der Chef oder Projektleiter präsentiert sein Thema mit vielen Charts und vielen Worten. Der Monolog führt dazu, dass die Gruppe abschaltet, die Problemstellung nicht richtig mitbekommt und mit gebremster Motivation an die Projektarbeit rangeht. Eine gute Lösung können Sie auf dieser Grundlage nicht erwarten.

Und wieso sollte das bei einem Workshop mit LEGO® Serious Play® anders sein? Was macht den Unterschied?

Der Unterschied ist die Arbeit am dreidimensionalen Modell. Klassische Planung ist doch in der Regel zweidimensional angelegt: Ein Problem oder eine Vision wird auf Papier, Bildschirm oder Whiteboard mit Schrift, Skizzen und Grafiken dargestellt. Das Ganze wird mündlich erläutert, dann wird diskutiert. Wenn ich das Thema aber in einem dreidimensionalen Modell aus LEGO-Steinen darstelle, mache ich es plastischer, bildhafter, anfassbar – und somit im Sinne des Wortes begreifbarer. Die neue Perspektive verhilft zu neuem Denken. Zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Themas. Und zu einem Ideen generierenden Austausch in der Gruppe. Auf dieser Basis können dann ganz andere Lösungen entwickelt und definiert werden.

In welchen Situationen bietet es sich an, LSP einzusetzen?

Durch die anscheinend spielerische Herangehensweise eignet sich LSP hervorragend als Eisbrecher zu Beginn eines Workshops oder Planungsmeetings. Mit LEGO-Steinen ein Thema visualisieren und dann darüber sprechen, das führt sehr schnell zu reger Interaktion und zu einer gelösten, offenen Atmosphäre. Ich empfehle LSP immer dann, wenn es darum geht, die Kreativität in einem Team anzuregen. Einen besonderen Mehrwert hat die Methode auch darin, dass beispielsweise Ursachen und Auswirkungen eines Problems im gegenseitigen Austausch geklärt werden und somit das notwendige gemeinsame Verständnis für das jeweilige Thema erzeugt wird. Was das Tool außerdem so vielseitig einsetzbar macht: Es lässt sich mit jeder aktuellen Innovationsmethode kombinieren, ob agiles Projektmanagement, Design Thinking, Business Model Canvas, Scrum oder andere.

Welche Themen können denn mit dieser Methode bearbeitet werden?

Im Grunde können Sie LSP für jedes Thema und Problem nutzen – ob es darum geht, neue Produkt- oder Geschäftsideen zu entwickeln, die internen Abläufe zu optimieren, Qualitätsmängel zu beseitigen, die Kundenkontakte zu intensivieren, Zusammenarbeit und Wir-Gefühl im Team zu stärken, den Umsatzrückgang zu stoppen oder das Unternehmen grundsätzlich strategisch neu auszurichten. Immer dann also, wenn Sie im Team möglichst viele Ideen für gute Lösungen und innovative Konzepte generieren möchten.

Für welche Projektphase eignet sich LSP besonders?

Die Methode bietet sich vor allem dazu an, ein Problem ganzheitlich zu betrachten und zu analysieren, um daraus zu einer wirklich guten Lösung zu kommen. Die dreidimensionale Modelle eignen sich besonders gut dazu, eine Problemstellung bildhaft darzustellen und für alle Beteiligten nachvollziehbar zu kommunizieren. Wenn das Problem besprochen und eindeutig definiert ist, entstehen automatisch viele Ideen, wie es sich lösen lässt. Die lassen sich dann zu einem Zielbild weiterverarbeiten.

Was ist denn das Erfolgsgeheimnis von LSP im Vergleich zu klassischen Projektmethoden?

Im Kern sind es vier Punkte. Erstens das Prinzip der extremen Vereinfachung in einem Modell: Es entsteht quasi eine Metapher, die das Problem oder Thema anschaulich auf den Punkt bringt. Zweitens die Hand-Gehirn-Verbindung: Das dreidimensionale Modell zum Anfassen unterstützt die Ideengenerierung. Drittens die persönliche Interpretation: Jeder Projektbeteiligte erläutert den anderen sein Modell und warum er das gemeinsame Thema gerade auf diese Weise umgesetzt hat. Und das ist auch schon der vierte Punkt – das Mitwirken aller, quasi die Schwarmintelligenz: Jeder kommt zu Wort, ist beteiligt, bringt sich aktiv ein. Das fehlt bei der Standard-Projektarbeit ja doch sehr häufig.

Angenommen, ich möchte das Ganze mit meinem Team mal ausprobieren: Kann ich einfach einen Sack Spielsteine aus dem Kinderzimmer mitbringen?

LEGO bietet zwar spezielle LSP-Sets an, die zusätzliche Elemente enthalten, mit denen sich beispielsweise Netzwerk-Beziehungen und deren Auswirkungen symbolisieren lassen. Aber fürs Ausprobieren tut es zunächst auch eine Auswahl ganz normaler Bausteine.

Es gibt zertifizierte LSP-Facilitators wie Sie, die eine Workshop-Gruppe moderierend durch den Kreativprozess begleiten. Wenn ich es mit meinem Team erst mal ohne Facilitator angehen möchte: Wie gehe ich sinnvollerweise vor? Worauf sollte ich achten?

Als erstes sollten Sie Ihre Teammitglieder an das bildhafte Denken in Metaphern heranführen. Beginnen Sie mit einer kleinen Warm-up-Übung: Nehmen Sie einen beliebigen LEGO-Stein und lassen Sie die Beteiligten zusammentragen, was dieser für sie symbolisieren könnte. Ein quadratischer weißer Baustein mit vier Noppen ist für den einen vielleicht ein Eisbär, für andere ein innovatives Smartphone mit vier Kameras, ein Stapel Papier-Vorschriften, die neue Lagerhalle oder irgendetwas anderes. In der Regel kommt die Gruppe sehr schnell auf zahlreiche kreative Interpretationen.

Wie geht es dann weiter?

Stellen Sie Ihrem Team die Herausforderung vor, die im Workshop bearbeitet werden soll. Dann bekommt jedes Teammitglied die Aufgabe, diese Challenge in einem individuellen Modell darzustellen. Ohne Vorgaben und Einschränkungen. Es geht nicht darum, das Thema realistisch nachzubilden, sondern es persönlich zu interpretieren und eine Geschichte bildhaft zu verpacken. Zehn Minuten sollten hierfür reichen. Jeder erläutert jetzt, was er mit seiner Konstruktion ausdrücken will. Die anderen können nachfragen, was genau mit diesen Figuren, diesen Farben, dieser Gestaltung gemeint ist. Es kann und sollte durchaus kurz über jedes Modell diskutiert werden. Entscheidend ist, dass die dahinter stehende Bedeutung von allen richtig verstanden wird.

Was bewirkt diese Vorgehensweise in der Gruppe?

Durch diesen Prozess erlebt jeder Beteiligte das Thema aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Das weckt neue Gedanken, neue Fragestellungen, neues Verständnis. Die Diskussion über die Modelle sowie die darin verpackten Geschichten und Interpretationen verstärken das weiter. Und vor allem sorgt diese Vorgehensweise dafür, dass wirklich alle sich aktiv beteiligen.

Wie lange sollte das Ganze dauern?

Für diese erste Phase sollten Sie sich etwa zwei Stunden Zeit nehmen. Danach eine Pause, dann geht´s an die zweite Baustufe, das Teammodell: Die Gruppe stellt die Challenge in einem gemeinsamen Modell dar. Hierfür gibt es zwei Varianten: Entweder werden alle Einzelmodelle zusammengefügt. Oder es entsteht ein neues Gemeinschaftsmodell, in dem wichtige Elemente aus den einzelnen Konstruktionen verwendet werden. Die zweite Variante hat den Vorteil, dass die Gruppe noch einmal intensiv über die Challenge diskutiert. Auch für diese Phase sollten Sie sich etwa zwei Stunden Zeit nehmen.

Wofür steht dann das Teammodell?

Es ist das gemeinsame Verständnis der Challenge in einer dreidimensionalen Darstellung. Die Problemstellung ist damit eindeutig und für alle Beteiligten plausibel herausgearbeitet. Auf dieser Basis können dann in der Gruppe gezielt Lösungsideen zusammengetragen werden.

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